Abschied von Pula

Es ist acht Uhr morgens, und ich stehe mit dem Auto an der Kaimauer vor der Admiralität. Auf der einen Seite ein paar Schiffe, auf der anderen Seite rollt der morgendliche Berufsverkehr. Beim Bäcker mit dem Herz im Namen, der zweifellos international Standard hat, habe ich mir ein Frühstück „to go“ besorgt. Während ich gemütlich im Auto frühstücke, wandern meine Gedanken zurück zu den vier Wochen, die ich in Pula verbracht habe. Es war eine gute Zeit. Sehenswürdigkeiten gibt es viele, hier das: Amphitheater vor allem, das mich sehr beeindruckt hat. Es hat einen Umfang von 750 Metern! Um allein die Steine der Außenfassade herbei zu schaffen, bräuchte man 1000 Lastwagen, von denen jeder 10 Tonnen transportieren kann. In Deutschland gibt es einen Lastwagen dieser Größe je Tausend Einwohner. Alle Lastwagen Istriens würden also mit Sicherheit nicht reichen. 7 Fußballfelder hätten flächenmäßig in der Ellipse aus Stein Platz, In der Antike fasste sie 20 000 Zuschauer. Wie viele Menschen starben im Sand der Arena zur Belustigung der Besucher? Weshalb wurde ein solches Monstrum überhaupt gebaut?

Die gängige Antwort lautet: um die Menschen mit Spielen bei Laune zu halten. Ich persönlich würde schärfer formulieren: um die Menschen mit Spielen zu manipulieren. Heute besorgt man das wirkungsvoller mit Fernsehesendern.

Zahlreiche weitere Bilder der Stadt kommen mir in den Sinn. Sie laufen wie ein kleiner Film vor meinen Augen ab. Hier der Film:


("Firefox" kann leider den Film nicht abspielen)



Besonders wichtig sind mir aber die Erinnerungen an Menschen, die ich hier kennengelernt habe. An sympathische Menschen.

Am Anfang hatte ich in der Stadt ein ganz eigenes Problem. Es mag befremdlich klingen, aber ich fand die Leute kontaktscheu. Ich komme aus einer Region, wo die Menschen leutselig sind, wie man sagt. Hier hatte ich den Eindruck, dass jeder auf einen imaginären Punkt 5 Meter vor seinen Füßen schaut, wenn er an mir vorbei geht. Niemand blickte mich an. Sogar dann, wenn wir beide einen Hund hatten, begrüßen sich die Hunde, aber die Leute schauten dabei weg.

Später habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Menschen sehr freundlich sind, wenn ich diese Trennmauer überspringe und sie einfach anspreche. Da waren sie zum Teil sogar ausgesprochen herzlich, und ich kann mich nur an einen einzigen Fall erinnern, wo ich mich als Ausländer abgelehnt gefühlt habe. Durch einen Parkplatzwächter, aber seine Kollegen standen peinlich berührt daneben, wie ich sehen konnte.


  Pula ist eine Stadt, die Raum hat zum atmen, Raum auch für ihre Bewohner.


Ich sprach fast immer Englisch und wurde von vielen verstanden. Besonders die jüngeren sprechen praktisch alle Englisch. Trotzdem haben mir manche den Deutschen irgendwie angesehen und mir auf Deutsch geantwortet.

Pula ist eine Stadt, die Raum hat zum atmen, Raum auch für ihre Bewohner. Sie ist nicht an einen Berghang gedrängt, wie zum Beispiel Rijeka. Deshalb gibt es auch nicht nur ein kleines Stück Küste, sondern viele Strände rund um die Stadt. Und sie ist kein reiner Touristenort, wie Opatija. Es ist eine lebendige Stadt. Diese Mischung, über die ich in meinem ersten Artikel „Ankunft in Pula“ kritisch sprach, die habe ich nun schätzen gelernt.

Bei Straßenmusikanten haben die Leute sehr großzügig gespendet, das ist mir aufgefallen. Aufgefallen ist mir aber auch, dass keiner der Spender vorher stehen geblieben ist und eine Weile zugehört hat. Sie spenden im Vorbeigehen. Das finde ich schade für die Straßenmusikanten, denn die können auch ein bisschen Anerkennung durch Aufmerksamkeit vertragen.

Die eigentliche Kulturszene der Stadt habe ich dann rein zufällig entdeckt. Ich meine hier nicht die professionelle, kommerziell organisierte Kultur, sondern das, was die Einwohner von Pula selbst auf die Beine stellen.

Ich hatte mir am Tag meiner Abreise in Deutschland noch kurz entschlossen eine Altflöte gekauft. Jetzt war ich in Pula auf der Suche nach einer Lehrkraft, die mir die ersten Griffe beibringt. Denn ich hatte ja Zeit. Die Touristeninformation tat, was sie konnte. Es wurden mehrere Telefonate auf kroatisch geführt, von denen ich nichts verstand. Das Endergebnis war ein Zettel mit einem Namen darauf und einem Hinweis auf ein Flötenkonzert am selben Abend. Dort sollte ich fragen, hieß es.

Ich ging also zur Museums-Galerie des Heiligen Herzens, um zu sehen, wo das ist. Ich sah, dass es die Galerie war, die mir schon Tage zuvor mit einer interessante Ausstellung über die geschichtliche Entwicklung der Region aufgefallen war.

Am Abend ging ich zum Konzert. Der Eintritt war kostenlos, nicht einmal um Spenden wurde gebeten. Später erfur ich, dass dies eine Gegenleistung der Musikerinnen und Musiker für die Stadt ist, die ihrerseits deren Arbeit unterstützt. Gespielt hat ein Trio namens „NaSaSa“. Die Abkürzung stand für Nataša, Sandro und Samanta, die Mitgieder des Trios. Sie spielten international bekannte Stücke, aber auch das Werk eines vermutlich kroatischen Komponisten, den ich nicht kenne.

Das Konzert war eine interessante Erfahrung über die gute musikalische Darbietungen hinaus.

Die Zusammensetzung des Publikums war ungewohnt. Natürlich gab es die Touristen aus Deutschland, so wie mich. Und unter den Einheimischen kannten sich viele. Schräg neben mir saß jedoch ein Ehepaar und lauschte interessiert, welches ich mir so in einem Konzertsaal Deutschlands schwer vorstellen könnte. Der Mann trug Gummistiefel, als wäre er grade von der Arbeit im Stall gekommen. Allerdings waren sie sauber. Mit ihnen klopft er zuweilen zur Musik den Takt. Ich sage das voller Respekt, weil es in Pula anscheinend möglich ist, mit klassischer Musik Menschen anzusprechen, die sich bei uns dafür nicht interessieren würden.

Eine der Flötistinnen, Nataša, wurde meine Lehrerin. Nach mehreren vergeblichen Versuchen von ihr, jemand anderen zu finden, hatte sie selbst Erbarmen. Trotz Sprachproblemen gab sie mir ein paar Stunden.

So kam ich ins „Rojk“. Eine riesige alte Kaserne mit einem ebenso riesigen Parkplatz davor, die durch kunst- und kulturbegeisterte Menschen zu neuem Leben erblüht ist. Weil man nicht mit den Augen, sondern ‚nur mit dem Herzen gut sieht‘ (Antoine de Saint-Exupéry), habe ich hier das Gebäude mit dem Computer aus einer schnöden Fotografie in das verwandelt, was es in Wahrheit ist: ein Tempel der Musen in dieser Stadt.

Zweifellos ist er wichtiger für das Leben in Pula, als der Augustus Tempel. Und im Übungsraum des „Puhački Orkestar Grada Pule“ erklangen dann meine ersten Flötentöne. Bis ich dort mitspielen kann, wird lange dauern….aber im Raum ….. war da nicht so ein sonderbares Echo? Hier der Raum: Das war nicht meine Flöte!

Ohne Abschied keine Rückkehr. Nach meinem Frühstück am Kai bin ich gefahren. Vielen guten Erinnerungen an Pula und seine Menschen habe ich mitgenommen.

  Travel is fatal to prejudice, bigotry and narrow-mindedness



Das Zitat von Mark Twain ist in eine moderne Marmorbank eingraviert. Dahinter ein großes Karré mit historischen Ausgrabungen in der Mitte, einem Museum für Geschichte des Olivenöls auf der linken Flanke, dem Museum für Neue Kunst rechts. Den Hintergrund bildet ein großer, ganz normaler Wohnblock, der den Blick auf den dahinter liegenden Hafen versperrt.


Dieses zwanglose Miteinander von Monumenten der Antike, Geschichte, Kunst und zeitgenössischem Leben ist das Bild der Stadt, das sich mir eingeprägt hat.

Pula hat meinen Horizont erweitert.


Siehe Auch